Bildung ist (k)eine Ware: Ein Vortrag von Prof. Dr. Margaret Wirth
Wissenschaft galt einmal als Aufklärung, als Hebel des Fortschritts hin zu einer besseren, vernünftigeren Welt. Fortschritte in der Naturbeherrschung wurden in Hebel für eine bessere Gesellschaft übersetzt: für ein längeres, gesünderes Leben, für neue Technologien zur Humanisierung der Arbeitswelt und für mehr Freizeit. Gesellschaftstheorie sollte kritisch sein, womit gemeint war: Sie sollte bestehende Verhältnisse in Frage stellen und Vorschläge entwerfen für ein friedlicheres, harmonischeres Zusammenleben der Menschen. Ähnlich bei der Bildung: Sie stand im Ruf, den Menschen zu veredeln, ihm die Teilhabe am geistigen Leben zu eröffnen, seine Selbstverwirklichung so erst recht zu ermöglichen.
Die Wahrheit über Wissenschaft und Ausbildung im Kapitalismus war das nie -- aber eine schöne Einbildung für Wissenschaftler und Studierende, wozu ihr Nachdenken, Forschen und Lernen recht eigentlich gut sein sollte.
Heute ist davon nicht mehr die Rede. Von Politikern über Uni-Rektoren bis hin zur Journaille sind sich alle einig: Von Wissenschaft und Ausbildung erwarten sie sich nichts anderes, als dass sie für die nationale Wirtschaft eine Ressource im globalen Konkurrenzkampf sein sollen. Vom Fortschritt verspricht man sich nichts, oft genug kennt man seine Nachteile; aber ohne Atomtechnik und Genfood ist der deutsche Standort nun einmal nicht konkurrenzfähig, also sind sie nötig und unverzichtbar.Unzufriedenheit mit Wissenschaft und Ausbildung wird vorgetragen im Namen ihrer Funktion für „das Wachstum". Politiker und Uni-Spitzen wollen von der Wissenschaft mehr Innovationen und High-Tech-Produkte.
Für die Studenten sind Wissenschaft und Ausbildung Hilfsmittel zur Bewältigung der Anforderungen des Arbeitsmarkts -- wo sie für genau diese geforderten Funktionen der Wissenschaft sorgen sollen. Viele Studierenden protestieren gegen Elite-Unis und Studiengebühren mit dem Einwand: ‚Wir sind doch die nationale Bildungsressource; wir sind doch die Qualifikationen von morgen, die ihr braucht -- deshalb dürft ihr uns das Studieren nicht finanziell erschweren oder gar verunmöglichen.'
Wenn sich schon alle Welt so sicher ist, dass Wissen und Bildung für nichts anderes da sind und sein sollen als für das Wachstum der Wirtschaft und das Vorankommen des „Standorts Deutschland"; wenn schon feststeht, dass alle Menschen nur deshalb Bildung brauchen und wollen, damit sie den Unternehmern auf dem Arbeitsmarkt ein passendes Angebot machen können -- dann ist es notwendig zu untersuchen, welche absurde Rolle das Wissen als Mittel nationaler Profitmacherei spielt. Erläutert werden soll, warum dieses Wissen so aussieht, wie es aussieht, und wie dessen Produktion organisiert ist, so dass es seine kapital- und staatsnützliche Rolle spielen kann. Dabei wird sich auch der Zweck der aktuellen Reformpläne klären, ebenso die Frage, ob die amtierenden Bildungspolitiker sich wirklich an der „Ressource Bildung" versündigen, wenn sie Studenten fürs Studieren ganz anders als bislang zur Kasse bitten. Und es wird sich zeigen, dass Bildung auch durch diese Reform nicht „zur Ware" wird -- was ihren Inhalt und ihren Auftrag kein bisschen besser macht.
Aufnahmedatum: Mittwoch, 29. Juni 2005, 19.00 Uhr
Aufnahmeort: Uni Freiburg, KG II, Raum 2004
Referentin: Prof. Dr. Margaret Wirth, Uni Bremen
Infos unter www.politischebildung.net
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